Münster (ots) –
Die Konzepte zur Risikotragfähigkeit (RTF) stehen im Bankensektor als Paradebeispiel für einen viel zitierten Leitsatz im Risikomanagement: „Erwarte das Unerwartete“. Der ICAAP-Leitfaden der Europäischen Zentralbank (EZB) und der RTF-Leitfaden der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) markierten einen Paradigmenwechsel, wie das „Unerwartete“ in zwei neuen Risikotragfähigkeitsperspektiven zu fassen ist.
Während die Risikoquantifizierung in der ökonomischen Perspektive im Regelfall über mathematisch-statistische Risikomodelle erfolgt, steht in der normativen Perspektive nun die Szenarioanalyse im Vordergrund. „Erwartbar“ wiederum war, dass die Veröffentlichung der neuen regulatorischen Anforderungen die Banken vor große Herausforderungen stellen würde. Die Institute waren gezwungen, ihre bestehenden Risikotragfähigkeitskonzepte zu überdenken und neu auszurichten.
Die bisherigen „Going-Concern-Ansätze alter Prägung“ mussten über Bord geworfen und die ökonomischen Sichtweisen teilweise komplett neu entwickelt werden. Die von den Aufsichtsbehörden gewährte Übergangsfrist war von entscheidender Bedeutung, um den Banken ausreichend Zeit zu geben, die notwendigen fachlichen und technischen Voraussetzungen für diese Umstellung zu schaffen. Der Übergangszeitraum war geprägt von umfangreichen Fach- und Implementierungsprojekten innerhalb der beiden großen deutschen Bankenverbünde.
Dabei zeigten sich im Sparkassen-Verbund und im genossenschaftlichen Verbund unterschiedliche Ausgangssituationen und technische Lösungswege. In den Sparkassen bedeutete die ökonomische Sicht für viele Institute eine völlig neue RTF-Perspektive, die entwickelt und in zumeist neuen Lösungen umgesetzt werden musste. Zur Umsetzung der normativen Perspektive hat die Finanz Informatik (FI) ein neues System „Gesamtbanksimulation“ (GBS) entwickelt, welches die Sparkassen sukzessive einführen.
In Genossenschaftsbanken war die ökonomische Sicht ebenfalls weitgehend neu, obwohl eine barwertige Sichtweise bereits vor über 20 Jahren in VR-Control entwickelt wurde. Hier erfolgte eine Weiterentwicklung der bestehenden Systeme, sodass eine pragmatische Integration der neuen Anforderungen insbesondere in die Instrumente von VR-Control gewährleistet ist.
Die Umstellung der RTF-Konzepte erfordert zusätzlich eine erhebliche Anpassung und Erweiterung des gesamten Risikomanagementprozesses. Dies beinhaltet die Überarbeitung der Risikoinventur für die normative Sicht, die Erweiterung der Angemessenheitsprüfung gemäß MaRisk AT 4.1 um das zusätzliche „Verfahren“ der Szenarioanalyse, die Anpassung im (Risiko-)Planungs- und Risikostrategieprozess sowie die Umstellung der Steuerungskonzepte auf neue Limitsysteme und eine neue Zielwertsystematik.
Ökonomische Perspektive: wichtige Präzisierungen vorgenommen
Obwohl das Grundkonzept einer ökonomischen Risikotragfähigkeit schon seit Jahrzehnten steht, wurden nun wichtige Präzisierungen vorgenommen. Hier ist die Differenzierung zwischen barwertiger RDP-Aufstellung und barwertnaher RDP-Aufstellung zu nennen, welche sich im Wesentlichen in Art und Umfang der Anrechnung von stillen Reserven (insbesondere der Anrechnung von Reserven im Zinsbuch) unterscheiden. Die Abschaffung des „Liquidationsansatzes“ und die hiermit verbundenen neuen Anforderungen an die Qualität des Eigenkapitals sind weitere Meilensteine der ökonomischen Perspektive.
Zu den häufig in der ökonomischen Sicht diskutierten fachlichen Themen gehören die Methode und Parametrisierung des Verwaltungskostenbarwerts sowie die Anrechnung des Risikokostenbarwerts mit Aspekten der Konsistenz zur Kreditrisikomessung. Grundsätzliches Ziel der Methoden sollte es sein, eine „Balance“ zwischen der Anrechnung von stillen Reserven im Risikodeckungspotenzial, der Konservativität der Risikomessverfahren und der Kapitalisierung von möglichen Modellrisiken zu schaffen.
Normative Perspektive: Regulatorische und aufsichtliche Anforderungen im Vordergrund
In der normativen Perspektive stehen die regulatorischen und aufsichtlichen Anforderungen im Rahmen der Kapitalplanung im Vordergrund. Hier besteht die Herausforderung im Ausbau und in der Qualität der Simulationsmethoden, welche eine integrierte Simulation von Bilanz, Gewinn- und- Verlust-Rechnung sowie risikogewichteten Aktiva ermöglichen. Als wesentliche Aspekte sind dabei die Simulation von Adressrisiken (z. B. deren übergreifende Wirkung auf das Bewertungsergebnis für Wertpapier- und Kreditgeschäft sowie auf die RWA-Anforderungen), die zukunftsgerichtete Simulation der verlustfreien Bewertung im Bankbuch (BFA 3) sowie die Simulation Fonds in Durchschau zu nennen.
Zusätzlich ist die Festlegung des adversen Szenarios von zentraler Bedeutung für die normative Perspektive. Hierbei sind ebenfalls die Schnittstellen zur Risikoinventur zu beachten (z. B. die Vollständigkeit der Szenariodefinition oder die Abdeckung neuer Risiken). Ferner spielt die Abstimmung der „Schwere des Szenarios“ durch den Abgleich mit den regulatorischen „Ankerszenarien“ (z. B. den Szenarien im LSI- oder EBA-Stresstest) eine große Rolle. So ist zu erwarten, dass die früheren Diskussionen zum Konfidenzniveau der Risikotragfähigkeit jetzt durch eine Diskussion um die Schwere des adversen Szenarios abgelöst werden.
Für Banken ist es entscheidend, Erfahrungen mit den neuen Konzepten zu sammeln
Die Risikosteuerung muss beide Perspektiven – ökonomisch und normativ – miteinander verknüpfen und die Wechselwirkungen verstehen. Dies beinhaltet den Ausbau von Steuerungskennzahlen auf der normativen Seite (KPIs) sowie weitere Entwicklungsschritte in der Geschäftsfeldrechnung und -planung. Die Herausforderungen der Einhaltung der Risikotragfähigkeit in einem zinsvolatilen Umfeld, die Engpasssteuerung über das RWA-Management in Zeiten von Eigenkapitalknappheit sowie der optimale Einsatz von Risikokapital durch die Risk-Return-Steuerung sind die maßgeblichen Ausbauthemen rund um die neue Risikotragfähigkeit. Mit den neuen RTF-Verfahren werden die Institute dazu beitragen, ihre Stabilität und Widerstandsfähigkeit gegenüber dem „Unerwarteten“ zu stärken.
Praxisorientierte Betrachtung in der zeb Webinarreihe zur Banksteuerung
Für eine tiefere Auseinandersetzung mit der diesem und weiteren Themen bietet zeb eine Webinarreihe zur Banksteuerung an.
Das nächste Online-Seminar zur Integration der neuen RTF in den Planungsprozess findet am 6. September 2024 statt. Weitere Informationen und Anmeldemöglichkeiten finden Sie unter: https://zeb-consulting.com/de-DE/events/webinarreihe-banksteuerung.
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